Tragen und Bindung sind eng miteinander verbunden. Aus der einfachen Tatsache heraus das Tragen eine sehr simple Möglichkeit ist die Eltern-Kind-Bindung zu fördern und zu stärken. Tragen ist Bindungsförderung im Alltag und ein effektives Mittel Bindung zu fördern.

Was ist Bindung

Bindung ist ein tief verwurzeltes, emotionales Band, das sich zwischen einem Kind und seinen Bezugspersonen, meist den Eltern, entwickelt. Diese Bindung ist entscheidend für die emotionale und soziale Entwicklung eines Kindes. In der Bindungstheorie, die vor allem durch John Bowlby und Mary Ainsworth geprägt wurde, wird untersucht, wie sich diese Bindungen formen und welche Auswirkungen sie haben.

Bowlby argumentierte, dass Bindung ein biologisch motiviertes Verhalten ist, das zur Überlebenssicherung dient. Er glaubte, dass Kinder mit einer sicheren Basis, die durch eine stabile Bindung zu einer Bezugsperson geschaffen wird, die Welt erkunden und gesunde Beziehungen entwickeln können.

Mary Ainsworth erweiterte Bowlbys Theorie durch ihre berühmten „Fremde Situation“-Experimente. Sie identifizierte verschiedene Bindungsstile:

  1. Sichere Bindung: Kinder mit sicherer Bindung fühlen sich wohl, wenn ihre Bezugsperson anwesend ist, sind bei Trennung bestürzt, aber bei Wiederkehr der Bezugsperson schnell getröstet. Diese Kinder entwickeln in der Regel ein starkes Selbstwertgefühl und gute soziale Kompetenzen.
  2. Unsichere-vermeidende Bindung: Diese Kinder meiden oder ignorieren ihre Bezugsperson. Sie zeigen wenig Emotion bei Trennung und Wiederkehr. Langfristig können solche Kinder Schwierigkeiten haben, intime Beziehungen aufzubauen.
  3. Unsicher-ambivalente Bindung: Kinder in dieser Kategorie sind extrem abhängig von ihrer Bezugsperson. Sie reagieren sehr emotional auf Trennung und zeigen ambivalente Reaktionen bei der Rückkehr. Diese Kinder könnten später im Leben zu ängstlichem Verhalten neigen.
  4. Desorganisierte Bindung: Dieser Stil tritt oft bei Kindern auf, die Missbrauch oder Vernachlässigung erfahren haben. Sie zeigen ein verwirrtes oder sogar widersprüchliches Verhalten gegenüber der Bezugsperson. Diese Kinder sind einem höheren Risiko für emotionale Störungen und Verhaltensprobleme ausgesetzt.

Die Auswirkungen dieser Bindungsstile sind weitreichend. Sichere Bindung fördert Selbstständigkeit, emotionale Reife und die Fähigkeit, gesunde Beziehungen aufzubauen. Unsichere oder desorganisierte Bindungen hingegen können zu Problemen wie Angststörungen, Depressionen und Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen führen.

Es ist wichtig zu verstehen, dass Bindungsstile nicht in Stein gemeißelt sind. Sie können sich im Laufe der Zeit ändern, insbesondere durch positive Erfahrungen und unterstützende Beziehungen. Eltern und Erzieher spielen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und Förderung gesunder Bindungen. Achtsamkeit, Empathie und beständige Unterstützung sind Schlüsselaspekte, um Kindern zu helfen, sichere Bindungen aufzubauen und zu pflegen.

Ein Stapel aus den Händen einer Familie

Wie entsteht Bindung?

Frühe Interaktionen

Die Bindung beginnt sich in den ersten Lebensmonaten eines Kindes zu entwickeln und wird stark durch die Interaktionen mit den Bezugspersonen beeinflusst. Diese frühen Interaktionen sind geprägt durch körperliche Nähe, Blickkontakt, Lächeln, Sprechen und Berühren. Die Art und Weise, wie Eltern auf die Bedürfnisse ihres Babys reagieren – sei es Füttern, Trösten, Spielen oder Sprechen – legt den Grundstein für die Bindungsentwicklung.

Das Diagramm zeigt das Zusammenspiel aus Wahrnehmun von Bedürfnissen-Reaktion auf Bedürfnisse und die daraus resultierende Sicherheit die zur Bindung beiträgt


Sichere Basis und Erkundungsverhalten

Ein zentraler Aspekt der Bindungstheorie ist das Konzept der „sicheren Basis“. Kinder mit einer sicheren Bindung sehen ihre Bezugsperson als sichere Basis an, von der aus sie ihre Umgebung erkunden können. Sie haben das Vertrauen, dass ihre Bezugsperson verfügbar und reaktionsfähig ist, was ihnen die Sicherheit gibt, Neues zu erkunden und gleichzeitig zu wissen, dass sie bei Bedarf Schutz und Trost finden.

Reaktion auf Bedürfnisse

Die Konsistenz und Angemessenheit, mit der Eltern auf die Bedürfnisse ihres Kindes reagieren, sind entscheidend für die Art der Bindung, die sich entwickelt. Sensibles und responsives Elternverhalten fördert eine sichere Bindung. Dies bedeutet, die Signale des Kindes richtig zu interpretieren und angemessen darauf zu reagieren, sei es durch Füttern, Trösten oder emotionale Unterstützung.

Die Rolle des Temperaments

Das Temperament des Kindes spielt ebenfalls eine Rolle bei der Entwicklung der Bindung. Kinder mit unterschiedlichen Temperamenten benötigen unterschiedliche Arten der Zuwendung und Unterstützung von ihren Eltern. Eltern, die ihr Verhalten an das Temperament ihres Kindes anpassen können, fördern eine gesündere Bindung.

Kulturelle Einflüsse

Kulturelle Normen und Praktiken beeinflussen ebenfalls, wie Bindungen geformt werden. Verschiedene Kulturen haben unterschiedliche Erwartungen und Praktiken in Bezug auf die Kindererziehung, was sich auf die Art der Bindungsentwicklung auswirken kann.

Auswirkungen von Stress und Trauma

Stressfaktoren, wie familiäre Konflikte, Armut oder Traumata, können die Bindungsentwicklung beeinträchtigen. In stressigen oder unsicheren Umgebungen können Eltern Schwierigkeiten haben, konsistent und sensitiv auf die Bedürfnisse ihres Kindes einzugehen, was zu unsicheren oder desorganisierten Bindungsstilen führen kann.

Bedeutung der väterlichen Bindung

Traditionell konzentrierte sich die Forschung hauptsächlich auf die Mutter-Kind-Bindung, aber die Bedeutung der Vater-Kind-Bindung wird zunehmend anerkannt. Väter spielen eine einzigartige und wichtige Rolle in der emotionalen und sozialen Entwicklung ihres Kindes. Ihre Interaktionsstile können sich von denen der Mütter unterscheiden, sind aber genauso wichtig für die Bildung einer gesunden Bindung.

© Sarah Madlener

Wie kann Tragen die Eltern-Kind-Bindung fördern?

Das Tragen von Babys und Kleinkindern kann einen erheblichen positiven Einfluss auf die Bindungsentwicklung haben. In diesem Absatz werde ich verschiedene Aspekte erläutern, die zeigen, wie das Tragen zur Förderung einer gesunden Eltern-Kind-Bindung beiträgt.

Physische Nähe und Sicherheit

Das Tragen eines Babys oder Kleinkinds ermöglicht konstante physische Nähe zwischen dem Kind und der Bezugsperson. Diese Nähe vermittelt dem Kind ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Babys, die regelmäßig getragen werden, können sich sicher sein, dass ihre Bedürfnisse schnell erkannt und erfüllt werden. Dies stärkt das Vertrauen des Kindes in seine Bezugsperson und bildet die Grundlage für eine sichere Bindung.

Förderung von Vertrauen und Verständnis

Durch das Tragen entwickelt die Bezugsperson ein tieferes Verständnis für die Bedürfnisse und Signale des Babys. Die enge physische Verbindung ermöglicht es Eltern, schnell auf Weinen, Unruhe oder andere Signale des Unbehagens zu reagieren. Diese prompte und angemessene Reaktion auf die Bedürfnisse des Babys fördert das Vertrauen und stärkt die Bindung.

Emotionale Entwicklung und Stressreduktion

Das Tragen kann auch die emotionale Entwicklung des Babys fördern und Stress reduzieren. Die rhythmischen Bewegungen und die Herzschläge der Bezugsperson wirken beruhigend auf das Baby. Studien zeigen, dass getragene Babys tendenziell weniger weinen und weniger Anzeichen von Stress aufweisen. Dieses beruhigende Umfeld unterstützt eine positive emotionale Entwicklung und fördert eine gesunde Bindung.

Soziale Integration

Getragene Kinder sind auf Augenhöhe mit Erwachsenen und können aktiv am sozialen Geschehen teilnehmen. Diese Integration ermöglicht es dem Kind, soziale Interaktionen und Kommunikation besser zu beobachten und zu lernen. Diese Erfahrungen sind wertvoll für die soziale und emotionale Entwicklung des Kindes.

Entwicklung des Gehirns

Die sensorischen Erfahrungen, die das Baby beim Tragen erlebt, sind entscheidend für die Gehirnentwicklung. Die Bewegungen, Geräusche und visuellen Stimuli, die das Kind erfährt, während es sicher an der Bezugsperson befestigt ist, fördern die neuronale Entwicklung und sensorische Integration.

Bequemlichkeit und Bindung

Das Tragen bietet nicht nur Vorteile für das Baby, sondern auch für die Bezugsperson. Es ermöglicht Eltern, ihre täglichen Aufgaben zu erledigen, während sie gleichzeitig physisch und emotional mit ihrem Kind verbunden bleiben. Diese Bequemlichkeit kann dazu beitragen, dass Eltern entspannter und aufmerksamer gegenüber ihrem Baby sind, was wiederum die Bindung stärkt.

Flexibilität und Anpassungsfähigkeit

Das Tragen ermöglicht eine flexible Reaktion auf die wechselnden Bedürfnisse des Babys. Ob das Kind schlafen, die Welt erkunden oder getröstet werden möchte, das Tragen bietet eine einfache und effektive Möglichkeit, diesen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Stärkung der väterlichen Bindung

Das Tragen ist auch eine wunderbare Möglichkeit für Väter, eine starke Bindung zu ihren Kindern aufzubauen. Die physische Nähe und das Teilen von Erfahrungen stärken die emotionale Verbindung zwischen Vater und Kind.
Zu weiteren Gründen warum es als Vater sinnvoll ist dein Kind zu tragen findest du in diesem Blogartikel.

Langfristige Auswirkungen

Die frühe Bindung, die durch das Tragen gefördert wird, kann langfristige positive Auswirkungen haben. Kinder, die in ihren frühen Jahren eine starke Bindung zu ihren Bezugspersonen aufbauen, zeigen oft eine bessere emotionale Regulation, höheres Selbstwertgefühl und stärkere soziale Kompetenzen im späteren Leben.

Ein Mann trägt sei Kind in einem hellen Tragetuch.

Quintessenz: Tragen und Bindung gehen Hand in Hand

Insgesamt ist das Tragen von Babys und Kleinkindern eine einfache, aber kraftvolle Methode, um eine starke, gesunde Eltern-Kind-Bindung aufzubauen. Es bietet sowohl physische als auch emotionale Vorteile, die für die Entwicklung des Kindes von entscheidender Bedeutung sind. Durch das Tragen können Eltern und Kinder eine tiefe, liebevolle Verbindung aufbauen, die den Grundstein für eine lebenslange Beziehung legt.

Wie du als Elternteil dein Kind sicher und bequem tragen kannst zeigt dir gerne eine Trageberatung bei dir vor Ort oder du buchst dir bei mir eine online Trageberatung.

Exkurs: Tragen als Präventionsmaßnahme?

Das dieser Effekt auf die Bindungsqualität nicht nur theoretischer Art ist, zeigen die Studien von  Anisfeld E et al. (1990) sondern auch neuere Studien von Lela Rankin Williams.
In Kombination mit der Tatsache, dass Tragen von den Eltern selbst als Entlastend und für ihren Alltag hilfreich wahrgenommen wird und zu einem gewohnte Bild in unserem Alltag geworden ist, macht Tragen zu einem einfachen und simplen Werkzeug um die Eltern-Kind-Bindung ohne grossen Aufwand zu fördern.
In meinen Augen würde wäre es deshalb absolut sinnvoll Tragen intensiver als bisher zu fördern und das Werkzeug Tragen in mehr Situationen einzusetzen.
Sei dies in Eltern-Kind-Kuren, in der Arbeit mit jungen Eltern oder auch ganz simple im Rahmen von Elternangeboten in Gemeinden und Städten.
Mir liegt das Thema Tragen und Bindung am Herzen und ich bin gerne bereit mein Wissen für Projekte in diesem Bereich einzubringen. Nehmen sie gerne Kontakt zu mir auf.







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